Montag, 12. Oktober 2009

Sie

Man weiß die Ernte im Herbst mehr zu schätzen, wenn es im Frühjahr Momente gegeben hat, wo man der Überzeugung war, dass der Sommer keine Früchte tragen wird und man um die Zeit im nächsten Winter bangen muss.


Man erzählte sich viel von ihrer Schönheit, wie es in Sagen immer ist. Viele Hymnen auf ihr Haar, ihre Haut, ihren Gang, ihre Gestalt doch was alle Lyrik und Gerüchte in Prosa gemein hatten war die Erwähnung ihrer Augen. Fast schon nur eine scheue Randnotiz und doch spürte man die Ehrfurcht vor ihnen. 

Manche Menschen sind anfällig für Gerüchte, manche geben gar nichts drauf und manche schenken ihnen Gehör, aber lassen sich dann doch gern noch einmal selbst überzeugen. Wie ich.

Doch als ich sie das erste Mal sah wusste ich, dass diesmal alles was man sagte und hörte die reine Wahrheit war. Es war das Bankett der schwarzen Gilde, welches nur alle Schaltjahre in der Vollmondnacht im Herbstmonat um die Tages- und Nachtgleiche herum, stattfand.

Niemandem, außer den Mitgliedern der schwarzen Gilde und deren Nächsten, war es gestattet auf diesem Fest die Farbe aller Farben zu tragen. Umso mehr wunderte ich mich sie in einem nachtschwarzen Kleid zu sehen, welches trotzdem zu glänzen schien, ebenfalls wie ihre Haut und ihr Haar, sobald das fast taghelle Licht des Vollmondes auf sie traf. Da das Fest im Amphitheater der Gilde abgehalten wurde hatte jener Mond kein Hindernis sie wieder und wieder in der Menschenmenge zu finden. Die Karaffe mit frischem Wein der letzten Ernte wäre mir beinahe aus den Händen geglitten als mich ihr Blick traf, während sie eigentlich mit Bekannten, die sie scheinbar selten sah, vermutlich wirklich nur auf jenen Festen alle vier Jahre, in ein Gespräch vertieft war. Es war mir als glitte etwas um meine Kehle und zöge sich langsam zu. Dieses Lächeln dabei. Ich weiß noch wie ich dachte "So sieht gezähmtes Feuer aus". Feuer, welches dicht neugierig und tollkühn macht. Feuer, mit welchem du dich auf ein Spiel einlässt und doch weißt du wirst du verbrennen, sofern es dich nicht gleich mit Haut und Haaren verschlingt und nur Knochen und Asche übrig lässt. Doch vermutlich wäre mir selbst das egal gewesen.

Ein Klatscher auf den Hinterkopf ließ mich einen Ausfallschritt nach vorn machen und löste die Bande. Ich wusste von wem er kam und trollte mich den Gästen Wein zu schenken. Trotzdem spürte ich noch den Blick der Ältesten im Rücken, während ich versuchte mich emsig zu beschäftigen.

Jeder vom Personal der Gefolgschaft hatte seinen kleinen Bezirk im Amphitheater  um den er sich kümmern musste, damit nicht alle Bediensteten wild wie aufgescheuchte Hühner durcheinander rannten. Und so seufzte ich, als ich sie in meinem sah. Ich konnte sie nicht einfach ignorieren und gleichzeitig wusste ich, ich würde keinen Ton rausbringen um sie zu fragen. Mehrmals versuchte ich einen Freund von mir zu überreden es zu übernehmen, aber er lachte nur und schüttelte den Kopf. Zum Teil aus Ablehnung meiner Bitte, zum andern Teil aus Unverständnis meiner Bitte gegenüber. Mit gesenktem Kopf lief ich durch die Menge, die immer Dichter wurde, hörte die Musik, die erklang weit entfernt, aber dafür mein Herz sehr laut. Ich schluckte trocken als ich auf das Grüppchen zuging in welcher sie gerade stand und sich prächtig unterhielt. Als ich sie lachen hörte und vor allem sah kribbelte es mir vom Scheitel bis zur Sohle. Man sah, dass ihr Herz lachte,  nicht nur ihre Lippen. Ich öffnete gerade meinen Mund und sie sah mich an und lächelte ehrlich, als meine rechte Schulter nach vorne gestoßen wurde, wieder machte ich einen Ausfallschritt um nicht zu stolpern. Ich sah noch ihren besorgten Blick und fühlte mich weniger beschämt denn aufgehoben. Meine Karaffe glitt mir aus meinem Griff, doch nicht, weil ich sie fallen ließ, sondern weil mir sie jemand aus den Händen zog. Er war groß, breitschultrig, sah eigentlich gut aus, aber hatte etwas gefährliches an sich. Etwas, was einen sich nicht über seinen Weg trauen ließ. Sein breites Lächeln verriet zwei Dinge. Hohes, sogar zu hohes Selbstvertrauen, fast schon Selbstverliebtheit und dass er bereits den einen oder andern Wein genießen durfte. Ihr Blick glitt von mir als sie sah, dass es mir gut ging und heftete sich voller Abneigung auf ihn. Doch es war keine ängstliches Zurückweichen in ihrem Blick. Im Gegenteil, sie zog eine Augenbraue hoch und fast sah es so aus, als ob sie schmunzeln würde. Ich kannte den Rüpel nicht, aber die restliche Gesellschaft um mich herum wich raunend einen Schritt zurück, nur sie blieb stehen.

"Wie schön, dass du es doch geschafft hast, Herzchen. Ich hab dich so lang nicht gesehen, mir kommt es ja wie eine Ewigkeit vor" säuselte der Kerl überschwänglich und trat näher an sie heran. "Darf ich dir deinen Kelch wieder füllen?" sagte er und ich sah ein anzügliches Lächeln, dass mir fast übel wurde. Er hob die freie Hand und fuhr ihr über ihre Wange. Sie drehte ihren Kopf leicht beiseite, ohne seinen Blick loszulassen. Ich hatte das Gefühl es knistern zu hören. Ein knistern eines Schwelbrandes. Gleichzeitig wurde die Farbe ihrer Augen heller. Er nahm seine Hand zurück als hätte er sich an ihrer Haut verbrannt. "Wohl immer noch so feurig wie früher, hm?". 

"Nimm die Karaffe, Ignatius, nimm sie. Ich denke keiner wäre traurig um den Liter Wein, selbst wenn es der beste wäre, wenn du ihn alleine leerst und dann selig einschläfst, damit der Rest in Ruhe das Bankett genießen kann." sie lächelte zuckersüß und blinzelte zwei, drei Mal.

Mit dieser Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet und man sah wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich, vor Wut. Durch den schnellen Schritt nach vorn, das abrupte stehen bleiben, schwappte fast die Karaffe über. Seine Hand schnellte vor und ergriff ihren Hals, den nur ein schlichter, schmal geschmiedeter Eisenring schmückte. Eine Ader trat an seinem Hals etwas hervor als er ihr ins Gesicht sagte "Du hast wohl vergessen, wen du vor dir hast. Du würdest gut daran tun dich gebührlich zu verhalten." Seine Augen zuckten von rechts nach links und fixierten die Ihren.

Sie hielt dem Blick stand, versteifte sich etwas in ihrer Haltung, aber blieb sonst regungslos. Als ich es wieder knistern hörte sah ich zu Boden, wo dieser unter ihren Schuhen rot glühte. "Aber wie...?" fragte ich mich und sah sie wieder an, gleichzeitig fragte ich mit langsam wachsender Panik wieso niemand auch nur etwas sagte, eingriff oder ihr half? 

"Lass los und verschwinde" sagte sie leise. Quittiert wurde dieser Appell mit einem Lachen von ihm. Darauf hin nickte sie soweit wie es der harte Griff um ihren Hals zuließ und ich hatte den Eindruck, dass es in ihren Augen zu lodern begann. Mit einem plötzlichen Schrei ließ er ihren Hals los und wedelte die Hand in der Luft. Der Ring um ihren Hals glühte ebenfalls, doch versenkte er nicht ihr Fleisch, sondern nur seines. Ihr nachtschwarzes Kleid sah aus als ob kleine Funken aus ihm stoben und so taumelte er etwas zurück. "Was..." murmelte er unfertig vor sich hin, während er sie mit großen Augen ansah. Ihr Blick rückte fast unmerklich von ihm ab und ich sah das Feuer darin erlöschen. An dessen Stelle erwachte ein Funkeln, welches ich an diesem Abend noch nicht gesehen hatte. Ich blickte mich um, der Boden hatte aufgehört zu glühen, ebenfalls wie der Reif. In den Augen aller Umstehender war das gleiche zu lesen: Respekt, Ehrfurcht und Bewunderung. Nie würde diese Frau sich jemandem beugen. Nie... dachte ich noch bei mir blieb dann mit meinen Augen an einem Gast hängen, den ich vorher noch  nicht gesehen hatte. Er war ebenfalls kein mir bekanntes Mitglied der Gilde und trug doch deren auserwählte Farbe, die seine Gestalt abrunden zu schien. In seinen Augen las ich keine Ehrfurcht, ich las Belustigung und herzliche Freunde und noch viel mehr dahinter, was einen Strudel aus Gefühlen bildete, der mich schwindeln ließ. Er trat einige Schritte durch die Menge, die ihn bereitwillig vorbei ließ. Während der Kerl noch seine Hand rieb, auf der eine deutliche Brandblase zu sehen war legte der Fremde ihm eine Hand auf die Schulter und sagte leise "Ignastius, wie schön dich zu sehen. Es ist wie lange her, dass ich dein Gesicht in den Schlamm drückte bevor du winselnd wie ein räudiger Hund davon ranntest? Zwei oder drei Bankette?"

Die Augen des ersten Mannes weiteten sich als hätte er die Stimme eines Geistes gehört. Er antwortete ohne den Kopf zu drehen. "Es waren drei. Ich dachte du seist verhindert heute. Ich dachte du seist noch in der Schlacht von Evon."

"Denken heißt nicht wissen, mein lieber Freund und jetzt würde ich vorschlagen du trollst dich."

Nickend und fast schon mit eingezogenem Schwanz verzog er sich. Sie hatte derweil einen zweiten Fremden mit einem herzlichen Lächeln umarmt. Sie nickte ebenfalls, vermutlich weil er sie fragte, ob es ihr gut ginge.

Dann wand sie sich dem Fremden in Schwarz zu. Die edlen Züge in ihrem Gesicht nahmen eine solch milde Form an, dass ich ganz verwirrt zusah. Nicht nur ihr, alle umstehenden, außer die, die zu weit weg waren und von dem Zwischenfalls noch nichts mitbekommen hatte, sahen dem Wiedersehen zu. Doch die beiden in ihrer Mitte schien das nicht zu interessieren. Sie raffte ihren Rock an den Seiten wenige Zentimeter nach oben und trat mit einem Fuß ein Stück zurück um eine kleine Verbeugung zu vollführen, was mich gänzlich verwirrte. Ich sah das Lächeln in seinem Gesicht, ich sah wie er genoss sie so zu sehen, als wäre es nicht immer so gewesen, er aber dieses Bild dadurch mehr und mehr genießen könnte.

Ich erinnerte mich an einen kleinen Teil der Gerüchte über sie. Einen Teil, der sie nicht nur ihr gutes Wesen besang, sondern ihre Jugend beleuchtete, in jener sie zwar dieselben Züge besaß nur ungezähmt und wild. Ich erinnerte mich auch weiter, dass man sagte, jedem der diesen Schandliedern über sie frönte würde früher oder später etwas zustoßen. Jetzt, wo ich ihn so sah, konnte ich mir vorstellen, dass daran etwas Wahres war. Er würde sie nicht in Watte hüllen, doch nie würde erlauben, dass man ihren Ruf beschmutzte.

Dann hob er eine Hand und ließ sie auf ihrem Haar nieder, fuhr daran an ihrer Wange entlang und hielt sie am Kinn fest, hob ihren Kopf, sodass sie zu ihm aufsah, machte einen Schritt vor und küsste sie. Diesmal hörte man kein Knistern und sah auch keine Funken und doch spürte man plötzlich eine warme Druckwelle konzentrisch durch die ganze Menge schwingen solang der Kuss dauerte und verebbte langsam als er sich von ihr löste. Der Stolz in ihren Augen war noch da. Ebenso die Wärme und Unnahbarkeit. Und doch funkelte plötzlich etwas in ihnen, was vorher nicht da gewesen ist, zumindest nicht für jeden erkennbar.

Viele Jahre später sollte ich durch ein Zitat erfahren was es war:

"Unterwerfung ist ein Geschenk, geboren aus der Stärke, genährt durch Vertrauen und Liebe, erhalten durch Respekt und Achtung. "